“Lern doch was gescheites”
Während meiner Schulzeit hat meine Familie oft meine Berufsvorstellung mit dem Satz „Lern doch was gescheites“ angegriffen, wenn ich was Schul-irrelevantes lernen wollte. Bald werde ich die erste Akademikerin der Familie und sie dürfen davon ausgehen, dass ich einen Haufen gescheiter Zeugs gelernt habe.
Vor ein paar Tagen habe ich das Gutachten meiner Doktorarbeit erhalten: Alle drei Gutachter haben mir sehr gute Note und ausgesprochen positives Feedback gegeben, sogar besser als erwartet.
Mit großer Freude habe ich diese ermunternde Nachricht mit meiner Familie geteilt. Dabei musste ich lachen, als mir auffiel, dass ich seit langer Zeit nicht mehr den Satz „Lern doch was Gescheites“ von ihnen gehört habe. Während meiner Schulzeit kam dieser Satz oft, wenn ich ungewöhnliche Vorstellungen von meinem Leben oder Beruf hatte.
Ich bin froh, dass meine Eltern keine stereotypischen ostasiatischen Eltern sind, die ihre Kinder ständig zum Lernen zwingen. Aber wie ganz viele Chinesen sind sie überpragmatisch und etikettieren das Wissen mit „gescheit“ und „nicht gescheit“. Hier einige typische Szenarien, die ich erlebt habe:
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Ich war ein riesiger Fan von Rockmusik und erzählte beim Abendessen, dass Guns n‘ Roses so cool ist und ich auch Gitarre lernen will. Ich hätte auch gern eine Nebenbeschäftigung in einer Band, wenn ich später in die Uni gehe. Meine Eltern sagten „Lern doch was gescheites“.
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Ich war von den Romanen des Schriftstellers Vladimir Nabokov fasziniert und habe ein Buch von ihm gekauft. Mein Papa sagte „Lern doch was gescheites“ und besorgte mir das Buch Eine Sammlung von Antrittsreden der Präsidenten der Vereinigten Staaten.
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Ich hatte keinen Bock mehr auf dem stressigen ostasiatischen Schulalltag, wo man von 7:00 morgens bis 21:00 abends paukt. Aber die große Prüfung stand schon vor der Tür, die darüber entschied, ob man in die 10. Klasse aufsteigen durfte. Da sagte ich meiner Mama: „Drei Straßen von der Schule ist doch ein Obstgarten. Die Bauer dort scheinen ganz entspannt und zufrieden zu sein und ich hätte gern auch so einen Obstbau-Beruf. Da ist es sehr wahrscheinlich egal, ob ich ein Abitur habe.“
Mama: „Lern doch was gescheites.“
Langsam habe ich geahnt, was mit „was Gescheites lernen“ gemeint war: Ab sofort unbedingt nur noch Abitur-relevante Sachen lernen, damit das Kind in die beste Universität reinkommt.
Und meine Eltern sind definitiv nicht die einzigen, die diese Mentalität haben. Sie war unter den Eltern der Kinder meiner Generation weit verbreitet.
Irgendwann habe ich eine Zusage für ein Bachelorstudium an einer renommierten Universität bekommen und seitdem nicht mehr „Lern doch was gescheites“ als Lebensanweisung gehört. Irgendwann habe ich angefangen zu promovieren. Seitdem ist meine Familie der Meinung, dass ich irgendwelche unübliche Vorstellung von mein Leben habe, weil ich „in der Forschung arbeite“, und Menschen in der Forschung seien „halt alle etwas verrückt“. Also nicht weil ich nicht genug Gescheites gelernt habe.
Anscheinend lautet ihre Theorie, dass man ab einem gewissen Niveau von Hochschulausbildung dann gleichzeitig gescheit und verrückt sein kann. Man wird dann verrückt gescheit. Oder eben gescheit verrückt.
Neuerdings kam die Nachricht, dass die chinesische Fußballmannschaft im Qualifikationsspiel für die WM 2026 mit 0-7 gegen Japan verlor. Die chinesische Fußballmannschaft war zwar schon immer berüchtigt, aber ein solches Fiasko hatte niemand erwartet. Man hätte genauso gut eine Gruppenprügelerei gegen die Japaner ausgeführt haben und offiziell ein 0-3 wegen zu vieler Platzverweise bekommen können. So wäre die Bilanz immerhin ein Stück besser als 0-7.
Dieser Verlust hat für ordentliche Wut bei den Fans gesorgt. Dazu kann ich nur sagen:
Ruhe bewahren, Genossen. Es gibt doch eine ganz einfache Lösung, um diese elende Mannschaft wieder auf Kurs zu bringen: Man führt ab sofort Fußball als Pflichtfach für das Abitur ein. Wer später unbedingt in der super tollen Peking Universität studieren will (weil seine Eltern meinen, dass das Leben des Kindes ganz vorbei ist, solange es keinen Platz an der besten Universität bekommt, die nur die besten 20 von 170,000 Abiturienten zulässt), muss Fußballfähigkeiten in einem Niveau von mindestens Soundso nachweisen.
Dann würde Fußball plötzlich für die Eltern etwas super-gescheites zu lernen. Dann hätten wir sehr bald einen Haufen gescheiter Fußballspieler in unserem Land.